Milano-Sanremo 2011

Radtouristik-Fernfahrt "Mailand-San Remo" über 298 km

Meinungen, Kommentare und Berichte

Für die Zusendung weiterer Berichte und Kommentare wären wir dankbar !

Ein Bericht von Ingo Köster, Delmenhorst
Milano-San Remo 2011

Vorgeplänkel

Nachdem ich als Fußballinvalide (Knorpelschaden im Knie) zunächst durch Radfahren im Fitnessbereich wieder auf die Beine kam, hat sich seit der ersten Teilnahme an einem Jedermann-Rennen im Jahre 2008 einiges geändert. Im zarten Alter von 43 Jahren entwickelte sich mit dem sportlichen Radfahren unter Wettkampfbedingungen eine neue Leidenschaft. Dass meine Ehefrau (schon immer sportlich) zunehmend ebenfalls Gefallen an solchen Aktivitäten fand, macht die Sache nur noch schöner.

Vor ca. einem Jahr entwickelte sich bei einem Glas Weizenbier (nicht alkoholfrei) die Idee, an einer etwas außergewöhnlichen Radsportveranstaltung teilzunehmen. Durch die Roadbike wurde ich auf Milano-San Remo aufmerksam. Ein Hobbyrennen mit der für normal denkende Menschen unfassbar langen Distanz von 298 Längenkilometern. Die 2 Höhenkilometer fallen da ja kaum ins Gewicht ...(:-). Hier und da mal von mir erwähnt, fragte meine Frau, warum ich denn so was machen müsste. Sie hatte natürlich recht. Ich dachte mir aber, es gibt auch keinen Grund, es nicht zu tun. Durch eine Info in der Roadbike stieß ich auf den Internetauftritt von Günther Kulessa. Dadurch war die Anmeldung problemlos auch als Nicht-Italiener hinzubekommen. Die Zwischeninformationen von Günther waren stets hilfreich und willkommene Vorfreude auf mein Jahreshighlight.

Anreise/Vorbereitung

Über einen beabsichtigten Umweg (Sustenpass, Gotthardpass, Lago Maggiore) reisten wir mit dem Wohnmobil an und fanden in unmittelbarer Nähe des Startbereiches ein hervorragendes, ruhiges Nachtlager. Bei der Ausgabe der Startunterlagen konnte man schon sehr hochwertige Räder mit ihren dazugehörigen muskelstarken Fahrern beobachten. Hier nehmen wohl keine "Bratwürste" teil, wie ein Bekannter sagen würde. Respekt! Informationen von anderen Wohnmobilisten und mehrfachen Milano-Sanremo Teilnehmern erhöhten meinen Respekt vor diesem Rennen (offiziell als RTF mit Zeitnahme getarnt). Aber bange machen zählt nicht, dachte ich mir. Nachdem es dann pünktlich zum Frühstück um 5:30 Uhr begann zu regnen, war mir schon etwas mulmig zumute. Das Ziel, in ca. 10 Stunden nach Sanremo zu kommen, habe ich insofern korrigiert, dass ich den Zielort unbeschadet erreichen wollte. So sahen es auch andere Teilnehmer, die ich aufgrund der ausgehänten Namenslisten auf ca. 1.000 schätzte.

Das Rennen

Gefühlsmäßig in der Mitte einsortiert ging es dann kurz nach 7:00 Uhr los. Trotz des Regens zog ich meine Regenjacke aus, weil ich mir dachte, dass ich mir später keine Zeit gönnen würde, diese bei besserem Wetter auszuziehen. Ausserdem empfand ich den Regen nicht als kalt. Ja, jetzt konnte es wirklich losgehen. Spannende Fragen konnten geklärt werden. Sind die Strassen wirklich so schlecht? Verfahren sich aufgrund der schlechten Beschilderung tatsächlich ganze Gruppen? Werden Autos in Kreiseln zum Anhalten gezwungen? Werden rote Ampeln stets ignoriert? Werden nach 270 km vermeintlich kleine Anstiege - wie die Cipressa oder der Poggia - zu echten Bergen? Klappt es mit der Verpflegung? usw. Ich glaube, keiner der Teilnehmer wäre an dem heutigen Tag unter Nicht-Wettkampfbedingungen auf die Idee gekommen, Rennrad und dazu auch noch nach Möglichkeit ziemlich schnell zu fahren. Insgesamt regnete es auf ca. 160 km. Direktes Hintereinanderfahren war aufgrund des Wasserstrahls direkt ins Gesicht unmöglich. Es mussten also geschickt Lücken gewählt werden. Nicht immer einfach, besonders wenn dass Rennradvolk keine gerade Linie fährt, Flaschen verliert, Löchern usw. ausweichen muss. Ich zog es vor, von Beginn an ohne Brille zu fahren, da ich mit Brille bei meiner letzten intensiven Regenfahrt nur noch sehr schlecht sehen konnte. Nach ca. 23 km schien dieses Abenteuer bereits zu Ende zu sein. Ein italienischer Radfahrer vor mir kam auf gerader Strecke in Schräglage und stürzte. In dieser Sekunde wusste ich, dass ich keine Chance hatte, hier ohne Sturz rauszukommen, hatte aber auch gleichzeitig das Gefühl, dass es gut ausgeht. Ich hatte das Glück, genau mit meinem Körper auf dem Körper des Gestürzten zu landen. Wir werden wohl ein paar Meter gemeinsam gerutscht sein. Nachdem ich mich aufrichtete, dem anderen auf Nachfrage wohl auch nichts fehlte, konnte die Regenfahrt weiter gehen. Einige Fahrer aus dem Team des Gestürzten kamen zudem noch zurück. Puh. Nach kurzer Zeit erreichte ich sogar die Gruppe wieder.

Nach diesem Schrecken ging es gefühlsmäßig eigentlich ziemlich gemächlich weiter. Zwischenzeitliche Blicke auf den Fahrradcomputer zeigten mir aber an, dass wir nicht ganz langsam unterwegs waren (meistens zwischen 35 und 45 km/h). Bis zum ersten Anstieg nach ca. 125 km ergab dies einen recht respektablen 37er Schnitt. Sehr nett. Nicht so nett war, dass – wie beim Berichtschreiber Bernhard Kraas – meine Blase unverhältnismäßig früh signalisierte, dass sie sich nicht bis zur ersten Verpflegungsstelle, die bei ca. km 122 sein sollte, gedulden wollte. Das Feld nach diesem nicht eingeplanten Stopp wieder zu erreichen hat einiges an Energie benötigt, hat mich aber nicht erheblich geschwächt. Schließlich habe ich nicht nur Ausdauer, sondern auch Fahrten im Spitzenbereich trainiert. Zudem kamen einige Fahrzeuge nicht sehr zügig an der sehr großen Gruppe vorbei, so dass ich mich teilweise auch in deren Windschatten kurzzeitig "ausruhen" konnte. Es war also alles wieder gut. Zwischenzeitlich hörte es sogar mal auf zu regnen. Ich hatte mich schon so daran gewöhnt. Schon einige Zeit bevor es in den Anstieg zum Passo del Turchino ging, begann das Feld etwas zu trödeln. Da offensichtlich keiner mehr mein Tempo mitgehen wollte und ich mich pudelwohl fühlte, entschloss ich mich, das Feld zu verlassen..... Ich liebe Anstiege und so war es ein echter Genuss, diesen leicht zu befahrenen Pass (maximal 6%) mit einigen Ups and Downs zu erklimmen. Am Scheitelpunkt war es schon trocken und so konnte ich bereits bei nahezu vollständig abgetrockneter Straße die tolle Abfahrt zur ligurischen Küste genießen. Durch etwas zu langsam fahrende Autos kamen jetzt wieder einige Abfahrer zusammen. Nachdem die Autos überholt wurden, konnte die flotte Abfahrt weiter gehen. Zwei bessere Abfahrer als ich es bin, zogen dann kurz vor Erreichen der Küste weg. So waren wir an der Küste zunächst 3 später 6 Fahrer, die Führungsarbeit gestaltete sich als einigermaßen gerecht. Hier und da ein kleiner Anstieg (meistens nur 4-5%), mal etwas Gegenwind (als Norddeutscher kein Problem), die Sonne lachte, die Weste konnte ich ausziehen; so konnte es bleiben. Das von Bernhard Kraas beschriebene Szenario (rote Ampeln werden ignoriert, Autos werden zum Halten gezwungen, Autos werden im Mittelbereich der Strassen überholt) kann ich bestätigen. Allerdings hatte ich mich aufgrund der Berichte von der Kulessa-Seite aus den Vorjahren darauf eingestellt und außerdem wüsste ich nicht, wie man sich anders verhalten sollte. Dies ist schließlich ein Rennen und kein Ponyhof. Mir hat`s jedenfalls Spaß gemacht, sich halboffiziell wie ein Verkehrsrowdy zu benehmen. Mit "meiner" Sechsergruppe fuhren wir dann auf zwei weitere Gruppen auf. Das Tempo wurde wieder etwas angezogen. Die zweite Verpflegungsstation, die ich zu spät gesehen habe, ließ ich aus. Sehr sympathisch fand ich, dass vom Führungsmotorrad eine Wasserflasche gereicht wurde, welche dann für die ersten 5-6 Fahrer/in der Gruppe ausreichte. Eine Baustelle bei KM 225 zwang unsere Gruppe zu einem Zwangsaufenthalt von ca. 2-3 Minuten. Die dritte Verpflegungsstation bei KM 250 sorgte dann für eine erneute Gruppentrennung, da einige weiter fuhren. Ich versorgte mich mit Apfelschorle und Apfelsinenstücken. Da die anderen Pausenlinge noch keine Anstalten zum Weiterfahrten machten, ging ich wieder alleine auf die Reise; vielleicht konnte ich die Durchgefahrenen noch erreichen oder würde selbst wieder eingesammelt werden. Ich fühlte mich jedenfalls noch topfit und in ca. 20 km begann ja schon der Cipressa-Anstieg. Meine Verpflegung bestand überwiegend aus selbstgebackenen Haferflocken-Riegeln, einigen Kohlenhydratengels und einigen anderen Reserveriegeln. Die Apfelsinen schienen mir wohl noch weitere Energie verliehen zu haben. Jetzt lief es wie "geschnitten-Brot". Im Cipressa-Anstieg war ich voll in meinem Element. Ich zog an mehreren Fahrern in für mich erstaunlicher Geschwindigkeit vorbei. Als ein überholter Fahrer sogar "Bravo" rief, musste ich unweigerlich an unseren Joke von Mallorca denken. Für längere Ausfahrten haben meine Frau, ein befreundeter Triathlet und ich unsere Räder mit einer etwas größeren Satteltasche von Rose ausgestattet. Nicht sexy, aber ungemein praktisch. Auf Fragen, was wir denn da alles drin hätten, antworteten wir stets: "Unseren Elektromotor". Inzwischen glaubte ich, dass da heute tatsächlich einer drin wäre. Ich sammelte bis kurz vor der Scheitelhöhe alle Fahrer der vorherigen Gruppe ein und freute mich auf die Abfahrt. Allerdings fing es jetzt wieder sehr heftig an zu regnen. Da es nur noch ca. 25 km waren, zog ich mir keine Weste mehr an und fuhr so vorsichtig, wie es unter diesen Bedingungen nur geht, herunter. Ich merkte sehr schnell, dass es bei dieser Nässe kaum eine Bremsreserve gibt, falls man sich bei der Dosierung der Geschwindigkeit vor den Serpentinen verschätzt. Es lief anschließend wieder ein Gruppe zusammen, mit der ich dann auch in den Haushügel von Sanremo, den Poggio, einbog. Da ich noch genügend Kräfte in mir hatte, zog ich wiederum davon. Irgendwie schade, dies sollte schon der letzte Anstieg sein? ... jetzt nur noch die Wassermassen verdrängen und heile runterkommen. Dann ein paar Kilometer durch den Ort – das war`s. Nach 8 Stunden und 51 Minuten offizieller Zeit bin ich unversehrt angekommen.

Nach dem Rennen

Auch meine Frau ist von Milano nach Sanremo gefahren. Wahrscheinlich war es für Sie anstrengender als für mich. Mit dem Wohnmobil weilte Sie bereits auf dem zuvor ausgeguckten Campingplatz 4 km vom Ziel entfernt. Aufgrund des Regens und Gewitters mochte sie leider nicht in den Zielbereich kommen. Da mir inzwischen ohne Bewegung etwas kalt wurde, zog ich es vor, zunächst beim Campingplatz zu duschen. Nachdem sich Blitz, Donner und Regen verzogen hatten, kehrten wir zurück und weilten noch einige Zeit im Siegerehrungsbereich mit Pasta und Cola. Leider verpassten wir die Siegerehrung. Gerne hätte ich noch Günther Kulessa persönlich kennen gelernt. Bedauerlicherweise war er nicht mehr vor Ort und auch nicht in der Nähe des Busses, bei dem ich noch mit zwei Kulessa-Teilnehmern sprach. Insgesamt war es ein ganz tolles Ereignis mit gutem Ausgang. Jetzt konnte weiter Urlaub gemacht werden. Wir blieben in Sanremo; es ist ein sehr geeigneter Ausgangsort für herrliche Touren in die Ligurischen Alpen und nach Frankreich sowie Monaco. Es gibt hier einen Wohnmobilstellplatz für 10 € die Nacht (ohne Strom, Ver- und Entsorgung ist möglich). Von hier aus beginnt auch die Area 24, ein fantastischer Fahrradweg (absolut autofrei) auf einer ehemaliger Bahntrasse. Hiervon sind bislang 21 km fertiggestellt (bis San Lorenzo). Die Blumenriviera verdient nach meiner Meinung ihren Namen zu Recht.

Fazit

Die Erwartungen waren größtenteils zutreffend. Die Strassen sind auf den ersten 120 km wirklich schlecht, besonders wenn bei gutem Wetter viel schneller und enger gefahren wird, sind Stürze und Pannen vorprogrammiert. Die Ausschilderung war ok. Uns begleitete aber auch die allermeiste Zeit ein Motorrad, dessen Fahrer wohl den Weg kannte. Verkehrsregeln werden in der Tat ständig gebrochen. Wer damit ein Problem hat, sollte hier nicht mitfahren.

Ingo Köster, Delmenhorst

 

Ein Bericht von Jörg Doose aus Hamburg
 

Seit Jahren bekommen ich die Mails „Mailand – San Remo“. Irgendwann tauchte diese Veranstaltung auch mal auf meiner „To-do-Liste“ auf. Ende 2010 war es soweit. Meine Anmeldung bei Günther erfolgte. Zeit zum Trainieren sollte ja vorhanden sein. Na ja, es kam dann doch etwas anders. Acht Wochen vor dem Start sollte eine sechswöchige Zwangspause erfolgen. Plötzlich stellte sich mir die Frage, ob ich den Bus unmittelbar nach der Veranstaltung überhaupt in dem angegebenem Zeitfenster erreiche. Hätte ich bloß eine Übernachtung in San Remo gebucht, tja, - hättste, hättste , hättste!
Die vielen Informationen, die Günther vorab verteilte waren sehr hilfreich. Ich finde das sowieso klasse, was er da ehrenamtlich auf die Beine stellt!
Nun hieß es erst einmal von Hamburg nach Mannheim fahren und einen Tag später mit meinem Partner nach Mailand. Irgendwann kamen wir da ja auch an holten schnell die Startunterlagen und planten gemeinsam, bei Regen nicht das Rennen zu fahren. Es fing ja auch erst bei der Startaufstellung an zu regnen, also sind wir los. Trotz des Regens und der anfänglich schlechten Straße lief es ganz gut. In Genua schien sogar die Sonne, ich hatte einen guten Schnitt und der Bus war mir sicher. Ich fuhr von jetzt an den Rest der Strecke allein, bei den Ortsdurchfahrten orientierte ich mich strickt an der Mittellinie, allerdings war nicht an jeder roten Ampel freie Fahrt, was soll’s. Ich will den Bus kriegen! Einen Platzregen mit Gewitter nutzte ich bei der letzten Verpflegung zu einer längeren Pause, hätte vielleicht weiterfahren sollen, so schlimm war’s auch wieder nicht. Den Bus habe ich locker bekommen, mit meiner selbstgestoppten Fahrzeit war ich auch zufrieden.
Der Verein, der diese Veranstaltung organisiert hat wirklich gute Arbeit geleistet und sich gut um die Teilnehmer gekümmert.
Für mich ist diese Veranstaltung abgehakt, es hat sich gelohnt, hier teilgenommen zu haben und die Eindrücke mit nach Hause zu nehmen.
Einen besonderen Dank an Günther!
 

Rennbericht Milano-Sanremo 2011

von Stefan Schär

 

Vorhaben & Zielsetzung
Damit die im Frühjahr auf Mallorca abgespulten 1800 km und die unzähligen schweisstreibenden Stunden im Kraftraum endlich mal zur Anwendung kamen, wurde eine richtige Herausforderung gesucht. Im Internet bin ich dann auf die Seite des www.ucsanremo.it gestossen, welcher dieses Rennen Mailand-Sanremo organisiert. Nach etlichen Recherchen und dem Durchlesen verschiedenster Erfahrungsberichten stand fest, dieses Rennen ist ein Muss für jeden Radsportler der das etwas andere "Rennen" sucht. Also habe ich mich angemeldet. Glücklicherweise konnte ich meinen Kollegen Michel Ritter auch dazu überzeugen, sich für dieses Erlebnis anzumelden. Als Zielsetzung galt, Sanremo mit einem Gesamtdurchschnitt von 30km/h zu erreichen, dies bei 295 km und einem Höhenunterschied von 1800 m. Um dies zu erreichen, war es unser Ziel, bis mindestens zum Passo Turchino in einem Fahrerfeld unter zu kommen, wo zwischen 35-40km/h gefahren wird. Schnell stand fest, dass ein eigenes Begeleitauto nur von Vorteil sein kann, sei es um Verpflegung entgegen zu nehmen oder auch aus materialtechnischer Hinsicht bei Defekten. Bis kurz vor der Abreise gestaltete sich jedoch die Suche nach einem Fahrer für das Begleitfahrzeug sehr schwierig, da viele die Auffahrtstage bereits anders geplant hatten. Ganz unverhofft gelang es jedoch Michel Ritter, seine langjährige Kollegin Barbara Schweizer für diese verantwortungsvolle Aufgabe zu gewinnen. An dieser Stelle ist nochmals ein ganz herzliches "Dankeschön" an Barbara für diesen tollen Einsatz gerichtet!

Anreise Freitag 3.6.2011

Die Anreise nach Milano erfolgte am Freitag 3.6.2011 via Luzern > Gotthard > Chiasso > Milano staufrei. Wir haben bewusst den Anreisezeitpunkt auf 2 Tage vor Rennbeginn gelegt, damit wir uns gemütlich anklimatisieren konnten und wir nicht durch etwaigen Reisestress am Renntag negativ beeinflusst würden.
Bei der Ankunft im Hotel NH Milanofiori stellten wir fest, dass diese Gedanken sehr viele andere Rennteilnehmer aus aller Welt auch hatten. Auffallend viele Auto-Nummernschilder der Länder Belgien und Niederlande waren zu sehen. Jedoch noch mehr aufgefallen waren die auf den Autos befestigten Rennmaschinen sowie die dazugehörigen "Piloten" - Carbon und HighTech soweit das Auge reicht, braungebrannte glatt rasierte Sprinterwaden in der Dicke ausgewachsener Karnickelbäuche. Da schoss mir erstmals der Gedanke durch den Kopf "Bist Du hier wohl wirklich richtig....was hast du nur gemacht...."?
Kurze Zeit nach dem Einchecken hat Michel Ritter, infolge seiner bereits gesammelten Rennerfahrung, die für Ihn wichtigsten offenen Punkte/Abklärungen erledigt haben wollen > Ort Startnummernausgabe, Ort Start, Ort Frühstück vor dem Rennen etc. Nach Abklärung dieser Punkte begaben wir uns mit unserer Begleitwagenfahrerin Barbara in das nahe gelegene riesige Einkaufcenter. Trotz der zahlreichen Schuhläden verliessen wir dieses Einkaufscenter nur mit 24 Liter Mineralwasser um unsere Bidons zu füllen. Bei einem anschliessenden Einrollen inspizierten wir die ersten 10 km der Rennstrecke bei sehr schwülen Temperaturen. Ich hatte sehr Mühe richtig Luft zu bekommen (dies auf nur 10 km!!!)...da waren Sie wieder meine Gedanken "..wie willst Du bloss diese 295 km schaffen wenn Du schon nach 10 km fast keine Luft mehr hast"? Am Abend dann ging’s ins nahe gelegene Restaurant im Areal des Kinos. Bei einem Glas Wein und viel Pasta wurde vorwiegend über das Rennen gesprochen. So gegen 22.30 war dann Bettruhe angesagt, leider hatte ich diese Nacht sehr wenig Schlaf gefunden, zu oft kreisten meine Gedanken um das Rennen herum.

Samstag 4.6.2011

Nach einem ausgiebigen Frühstück in einem mit Radsportlern völlig überfülltem Frühstücksraum, ging’s so gegen 09.30 Uhr zur Startnummernausgabe, welche direkt im Nebentrakt des Hotels statt fand. Davor bildeten sich teilweise im Regen schon lange Schlangen von Radlern, welche je nach Ihrer zugeordneten Startnummer (welche zuvor an aufgemachten Blättern abgelesen werden musste), sich in die entsprechende Schlange stellen mussten. Lustigerweise führten dann diese getrennten Schlangen zu ein und der selben Eingangstüre, wo ein Mitglied des UCSANREMO die Radler zum Einlass selektierte...Stichwort "Organisation Italia"...:-)) Nach mühsamen 90 Minuten, dem Abgeben eines ärztliches Sportattests und dem Unterzeichnen eines Dokumentes mit unbekanntem in Italienisch verfasstem Inhalt waren wir endlich im Besitze unserer Startnummer und dem Transponder. Obendrein gab es noch ein schönes Radtrikot, Sportfood und ein Massagegel.
Danach wurden mit Barbara Schweizer anhand ausgedruckter Karten, Reiseführer und Marschtabelle in der Hotelbar die Verpflegungspunkte ausgemacht, an denen geplant war, fliegend die Verpflegungsbeutel entgegen zu nehmen. Es waren dies folgende Punkte, jeweils nach der entsprechenden Ortschaft auf der rechten Strassenseite:
- Noviligure bei km 95
- Cogoleto bei km 167
- Finale Ligure bei km 210
- S. Lorenzo al Mare bei km 267

Trotz dieser zahlreichen eingeplanten Verpflegungspunkten zogen wir es vor, je Rennrad zusätzlich hinter dem Sattel einen Doppel-Bidonhalter zu montieren, so dass keine Halte an den offiziellen Verpflegungsposten eingelegt werden mussten und dadurch Zeitverluste entstehen. Dass diese Doppel-Bidonhalter nicht für Italiens Strassenbeläge tauglich sind, bewies uns das Renngeschehen schon nach wenigen Kilometern (siehe Anschnitt Renntag).
Am Nachmittag absolvierten Michel Ritter und ich infolge des schlechten Regenwetters eine kurze 1/4stündige Lockerungs-Einheit auf den Ergometern des hoteleigenen Fittnessraumes. Meine Beine waren sehr locker und drehten die Kurbeln mit 100 Umdrehungen mühelos, es kam erstmals ein kleines Rennfieber auf...yeahhhhh. Darauf präparierten wir im Hotelzimmer unsere Fahrräder und tätigten sonstige Rennvorbereitungen - Kette schmieren (:-), Riegel und Gaspumpe auf Rahmen kleben, Startnummer befestigen, Bidons schon mit Energy-Drink-Pulver füllen, Verpflegungsbeutel bereit stellen etc.

Schon fast als Ritual ging’s dann am Abend wieder in ein Restaurant im nahe gelegenen Areal des Kinos. Der Wein blieb jedoch auch an diesem Abend nicht aus, so auch die Pasta. So gegen 22.00 war dann Bettruhe angesagt, zuvor jedoch lockerten wir unsere Beine mittels Massagecreme und Electrostimulator. Michel Ritter "pflasterte" sich noch bis spät in die Nacht mit Brioche-Brötchen, Käse, Oliven-Öl und Salz kleine Sandwichs, welche er seinen Verpflegungsbeuteln beifügte. Ich hatte wiederum eine sehr unruhige Nacht und gesamthaft wohl nicht mehr als 4 Stunden geschlafen! Hatte ich doch im Halbschlaf andauernd Stürze, rasante gefährliche Abfahrten, Gerangel im Fahrerfeld etc. vor Augen.

Renntag Sonntag 5.6.2011
Infolge des schlechten Schlafes war ich sehr froh, dass uns der Wecker um 04.00 Uhr den Befehl gab, aufzustehen. Ein Blick zum Fenster raus liess zu dieser Uhrzeit noch nicht erahnen, welch Wetter uns in 3 Stunden am Start erwarten würde. Gegen 04.15 Uhr waren wir inkl. Barbara auch schon im Nebengebäude des Hotels, wo das Frühstück eingenommen werden sollte. Wir waren als erstes da, keine Menschenseele ausser dem Kellner waren zu sehen...respektive wir waren zu früh da...ja, wir waren die ersten...wenn es doch nur am Ende des Tages nach den 295 km auch so wäre..:-))
Nach einer 10 minütigen Wartezeit wurde uns Einlass zum Speisesaal gewährt. Pasta so früh am Morgen schmeckt einfach scheusslich, aber was soll’s, sie erfüllen eben ihren Zweck. Michel und Barbara hielten sich eher an das brotige mit den üblichen Aufstrichen, der Kaffee schmeckte wie immer: nach Kaffee.
Zurück im Zimmer gegen 05.00 Uhr wurden alle Utensilien, welche nicht mehr fürs Rennen gebraucht wurden, verpackt und ins Auto gebracht. Ebenfalls wurden die Ersatzlaufräder (je 2 VR und je 2 HR) mit 8 Bar gepumpt, in der Hoffnung, dass diese trotzdem nicht zum Einsatz kommen werden.
Wieder zurück im Zimmer schmissen wir uns in Schale, besser gesagt ins Radtrikot. Da am Vortag keine Vaseline im Einkaufscenter gefunden wurde um die bekannten Scheuerstellen wie Innenoberschenkel zu behandeln/schützen, kam eine Lippenpomade zum Einsatz. Dessen Anwendung sich übrigens während dem ganzen Rennen als vorzüglich bestätigt hatte. Nach diversen anderen Vorbereitungen standen wir dann "rennbereit" so gegen 06:20 vor unserem Hotel NH Milanofiori. Geschätzt hatten zu dieser Zeit schon die ersten 150 Rennfahrer die "Eingangs-Chip-Kontrolle" passiert und standen startbereit in optimaler Ausgangs-Position hinter der Startlinie. Wir reihten uns gleich dahinter ein. Der Startbereich befand sich unmittelbar vor unserem Hotel, welches sich in einem Kongress- respektive Industriegebiet von Milano befindet. Je näher die Uhrzeit gegen 07.00 Uhr ging, desto mehr erhöhte sich unsere Nervosität im Quadrat.
Pünktlich kurz vor dem Start setzte dann auch der Regen ein, so sollte es auch während gut 2/3 der Renndistanz bleiben, jedoch nur noch viel heftiger. Mit italienischer Pünktlichkeit starte dann um 07.07 Uhr das Rennen.
Wenn ca. 1000 Rennradfahrer rennmässig eine enge kleine Quartierstrasse mit etlichen Richtungsänderungen verlassen wollen, kommt dies ungewollt zu diversen "Annäherungen" mit anderen Radlern. Wer es dann endlich bis zum ersten Kreisel auf der grossen breiten Hauptstrasse geschafft hatte, war gleich mitten im Renngeschehen, egal ob links- oder rechtsrum durch den Kreisel..:-)). Mit Tempo 40 km/h ging’s sofort zur Sache, Richtung Süden. Nichts war vom gemütlichen Einrollen respektive vom gegenseitigen Beobachten. Zahlreiche Kreisel zierten die ersten paar Kilometer, diese Kreisel wurden infolge des Regenwetters und der damit verbundenen Rutschgefahr etwas vorsichtiger angefahren und vor allem auch wortlaut durch vordere Fahrer im Feld angekündigt. Nach nicht einmal 10 gefahrenen Renn-Kilometern verlor ich infolge des teilweisen sehr löchrigen und holprigen Strassenbelages meine 2 Bidons, welche aus dem Doppel-Bidonhalter hinter dem Sattel rauskatapultiert wurden. Michel Ritter ärgerte sich nur kurze Zeit über die "anscheinend" schlechte Halterung meines Doppel-Bidonhalters, denn ihm widerfuhr nur wenige Kilometer später dasselbe. Diese Stelle glich mehr einem Schlachtfeld als einer Strasse, da lagen bestimmt nicht weniger als 30 Bidons am Boden, teilweise auch zersplittert. So verwunderte ich mich dann nicht, dass nur wenige Meter weiter zahlreiche Rennfahrer mit Laufrädern in den Händen herum rannten, um diese entweder beim Begleitfahrzeug zu tauschen oder um einen neuen Schlauch einzusetzen. Besonders auffallend war, dass immer nach solchen Löchern in der Strasse mehrere Fahrer Plattfuss hatten. Ich denke, wir sahen über das ganze Rennen weit mehr als 100 Fahrer am Strassenrand. Evtl. hat sich meine Vorbereitung mit dem Aufziehen eines sehr Pannenresistenten Reifens ausbezahlt gemacht, oder wir hatten einfach nur grosses Glück, dass wir pannenfrei in Sanremo ankamen. Solche Situation waren immer sehr gefährlich, wollten doch die im Feld vor einem fahrenden "Piloten" diesen plötzlich auftauchenden Bidons ausweichen. Etliche Male kam es da zur Tuchfühlung respektive Rennrad- und Trikotfühlung. Die sehr schlechte Sicht wegen des immer stärker werdenden bis sintflutartig einsetzenden Regens machten diese Situationen zum Nervenkitzel. Noch vor unserem ausgemachten Verpflegungspunkt, wo Barbara Schweizer unsere Verpflegungsbeutel übergeben sollte, waren wir mit einem menschlichen Bedürfnis konfrontiert. Um dieses zu lösen, standen genau 2 Varianten (schlecht und schlechter..:-)) zur Verfügung - Variante "schlecht" > in die Hose laufen lassen ...Variante "schlechter" > anhalten, Kontakt zum Feld verlieren. So entschieden wir uns dann für die Variante schlecht, schliesslich wollten wir unser Ziel Sanremo mit einem 30er Gesamtdurchschnitt erreichen und zudem wusch der mittlerweile sehr stark prasselnde Regen die gelben Beweise binnen Sekunden in die riesengrossen Pfützen auf Italiens Strassen...viva strada Italia!
Mit der Annäherung an unseren ausgemachten 1. Verpflegungspunkt bei Km 95 in Noviligure, erhöhte sich auch das Tempo im Feld auf 45 km/h. Bei dieser Geschwindigkeit, starkem Regen, in einem Feld und obendrein mit beschlagenen Brillengläsern "fliegend" einen Verpflegungsbeutel angeln zu können, grenzt an ein Wunder. Dieses Wunder war leider auch mir vergönnt, verpasste ich doch die gestreckte Hand von Barbara um gut einen halben Meter. Michel einige Meter hinter mir (war zur Übernahme der Verpflegung so ausgemacht) realisierte dies, verlangsamte stark das Tempo und angelte beide Beutel. Es war für uns sehr wichtig, dass wir diese Beutel hier doch noch erwischt haben, hatten wir doch kurz nach dem Start jeweils unsere beiden Reserve-Getränke-Bidons verloren. Diese Tempoverlangsamung hatte jedoch zur Folge, das wir in nicht einmal 20 Sekunden plötzlich 200-300 Meter hinter dem mit 45km/h davonbrausendem Feld waren. Es galt, den Anschluss an dieses Feld auf keinen Fall zu verlieren, das gefasste neue Bidon in den Halter und weg mit dem Beutel in den Strassengraben, samt den Riegeln, Gels, Sandwich und Cola. Ein Verstauen dieser Sachen im Trikot hätte einen weiteren Rückstand zum Feld mit sich gebracht. Mit einem ca. 10-15 minütigem Kraftakt kämpfte uns Michel Ritter wieder zurück in den schützenden Windschatten des Feldes, dies noch bei starkem Gegenwind > BRAVO und DANKE Michel, alleine hätte ich es nicht ins Feld zurück geschafft! Dieser Kraftakt sollte sich jedoch später noch bemerkbar machen. Den ersten offiziellen Verpflegungsposten am Passo Turchino in Campo Ligure bei km 135 haben wir ausgelassen.
Hier trennten wir uns dann somit auch vom grossen Feld, da die meisten Fahrer diesen Posten ansteuerten. Yeah, wir hatten somit auf einen Schlag ca. 150 Plätze vorerst gut gemacht. Der von dort aus immer noch währende 8 km lange Anstieg kam uns länger und steiler vor, als wir das Tags zuvor aus dem Rennprofil heraus interpretierten. Wir waren beide sehr erleichtert, als wir endlich nach der Passhöhe die rasante Abfahrt Richtung Genua in Angriff nehmen konnten. Zu allem Glück war ab der Passhöhe Sonne, viel Wärme (28 Grad und mehr - zuvor waren es ca. 15 Grad auf den ersten 140 km) und vor allem trockene Strasse angesagt, letzteres verringerte die Sturzgefahr bei der Abfahrt um vieles! Wir konnten endlich unsere Regenjacken in den Trikottaschen verstauen und unsere Radgenossen-Trikots unter Italiens Sonne aufblitzen lassen.

Unten in Genau Voltri angekommen, präsentierte sich das Rennen plötzlich von einer ganz anderen Seite. Es herrschte Gegenwind aus Südwest, dies sollte auch so bleiben bis zum Ziel. Auch gab es kein grösseres Fahrerfeld mehr, eher waren es vereinzelte Gruppen von 3 bis zu 20 Fahrern, welche nur ein Ziel hatten > Sanremo. Auch präsentierte sich die Verkehrssituation von einer ganz anderen Seite. Wo die ersten 150 km mehr oder weniger auf dem Lande
resp. Nebenstrassen absolviert wurden, galt es nun, das Rennrad auf den letzten 150 km durch die Hauptstrassen der Orte zu steuern, welche der Küste entlang verlaufen. Wer im Sommer hier Mal im Urlaub war kennt dieses Verkehrs-Situation bestens > Staus vor Ampeln, Fussgänger die sorglos auf die Strasse laufen, Vespas die links und rechts überholen, Busse die den Weg verstopfen und stinken etc.. An keiner Ampel und keinem Stoppschild wurde angehalten, mal rechts und mal links an stehenden Kolonnen vorbei, hier ein Fussgänger lauthals angeschrieen der die Strasse überqueren wollte, da einem Autofahrer den Vogel gezeigt etc...so präsentierte sich das Bild auf den letzten 150 km. Ich denke, meine Verkehrs-Vergehen summierten sich sicher gegen 70-80 Stk. Aber was soll’s, jeder andere Rennteilnehmer tat ja das gleiche. Ich denke, ein Vergleich mit diesen doch sehr gefährlichen Situationen und Russisch-Roulette ist nicht so abwegig. So wundert es mich doch sehr, hatte ich persönlich keinen Rennunfall gesehen. Ich hatte jedoch von einigen wenigen Unfällen gehört respektive im Hotel eine Person mit gebrochener Schulter gesehen. Wie und wo es zu den jeweiligen Unfällen kam, kann ich glücklicherweise nicht sagen. Ein Ortskundiger der die Strecke Genua-Sanremo entlang der Küstenstrasse schon einmal gefahren ist weiss, dass sehr oft nach einer Ortschaft eine Ansteigung kommt, bei welcher die Klippen bis zur nächsten Ortschaft umfahren werden müssen. Diese immer wiederkehrenden Steigungen haben es vor allem dann in sich, wenn man schon angesäuert in diese Steigungen fährt. Die bei km 95 getätigte Aufholjagd um zurück ins Fahrerfeld zu gelangen, zeigte seine Spuren. Immer wieder mussten wir bei diesen Steigungen Fahrer oder kl. Felder ziehen lassen und alleine gegen den Wind Richtung Sanremo kämpfen. Hatten wir doch unten bei Genua Voltri noch einen Gesamtdurchschnitt von 35km/h, sahen wir diesen mit zunehmender Renndistanz immer mehr schwinden.
Bei km 167 in Cogoleto wartete Barbara wieder mit den ersehnten Verpflegungsbeuteln auf uns. Leider gelang es wiederum nicht, diese "fliegend" entgegen zu nehmen. Einer der Beutel verteilte sich quer über den Asphalt, dabei hatte ich noch grosses Glück, dass ich nur sehr knapp einen Bidon ausweichen konnte. Da wir zu diesem Zeitpunkt dringend auf Flüssigkeit angewiesen waren, entschlossen wir uns für einen Blitzhalt > Bidon nehmen, Riegel und Gels nehmen und die Regenjacke sowie leere Bidons vor Barbaras Füsse werfen....das ganze dauerte nicht mal 30 Sekunden und wir waren wieder inmitten des Renngeschehens. Da wir hier auf diesem Streckenabschnitt teilweise sowieso auf uns alleine oder viele kleinere Gruppen resp. Fahrerfelder angewiesen waren, fiel dieser Blitzhalt nicht so sehr ins Gewicht. Da sich diese Methode zur Getränkeaufnahme schon fast bewährt hatte, entschlossen wir uns auch bei km 210 in Finale Ligure, einige Sekunden bei Barbara anzuhalten. Bei km 247 in Capo Cervo wurde beschlossen noch beim letzten offiziellen Posten des Veranstalters UCSANREMO für einige Sekunden anzuhalten. Eigentlich hatte ich dort nach Wasser für mein Bidon verlangt, bekam aber irgendein isotonisches wohl mit Salz angereichertes Getränk. Der dortige "Ausschankmeister" hatte auf alle Fälle immer von "Sali"..."Sali".. gesprochen. Gut, Salz konnte ich mittlerweile wohl auch gebrauchen, hatte ich doch bei den letzten 2 Ansteigungen jeweils Anzeichen eintretender Krämpfe an den Innenoberschenkeln. Diese Anzeichen respektive eintretenden Krämpfe verschwanden jedoch immer sehr schnell, als ich aus dem Sattel ging und im Wiegetritt die Anhöhe erklimmte.
Pünktlich auf den letzten 35 km setzte dann auch wieder der Regen besser gesagt fast die Sintflut ein. Da wir zuvor bei Barbara noch bei Sonnenschein unsere Regenjacken abgeliefert hatten, waren wir nun dem Regen schutzlos ausgesetzt. Teilweise waren die Niederschläge derart heftig, dass Beine und Arme infolge der stetigen Bombardierung durch die Regentropfen schmerzten. Im Aufstieg zum Cipressa wurden wir dann so richtig "angefeuert" (erstmals auf der ganzen Strecke..:-)), dies mit tosendem Applaus > viele nahe Blitzeinschläge, lauter Donner und starker Gegenwind begleiteten uns auf dem Weg zur zweitletzten Anhöhe, dem Cipressa. Ich war mir nicht ganz sicher, welches das optimale Wetter gewesen wäre, um diesen Hausberg zu bezwingen. Bei Sonnenschein und mehr als 30 Grad hätten wir bestimmt auch gelitten. Eines war ich mir jedoch bewusst, meine Bremsen griffen sehr schlecht bis gar nicht bei dieser Nässe. So schlichen wir dann in sehr langsamen Tempo wieder runter um nicht noch kurz vor dem Ziel einen Unfall/Sturz zu riskieren. Unten heil angekommen, fühlte ich mich fast wie neu geboren und war so was von beflügelt, dem Ziel schon so nahe zu sein. Allem Hundewetter zum trotz drehten meine Beine, als hätten sie noch keinen einzigen der bereits zurückgelegten 276 Kilometer absolviert. Gegenwind, Regen, Gewitter, riesengrosse Pfützen, Bäche die die Strassen entlang kamen, all dies konnte mir nichts mehr anhaben. So führte ich vor Michel in enormen Tempo eine kleinere Gruppe Richtung Abzweigung zum Poggio...ich fühlte mich so stark wie noch nie, ja, ich war im Rennfieber. Kurz vor der Abzweigung zum Poggio bestätigte ein Blick zurück mein Gefühl, nur noch Michel Ritter konnte diesem Tempo mithalten...yeahhhhhh, viva strade bagnata Italia, viva fulmine, viva pioggia, viva MILANO-SANREMO...
Den letzten 3,5 km langen Anstieg zum Poggio genossen Michel und ich bei eher gemächlichem Tempo. Mir kam das ganze Rennen nicht so lang vor, wie ich mir das in meinen "Ängsten" vorgestellt hatte. War ich doch erst gerade in Milano gestartet und jetzt befand ich mich schon in der letzten Steigung, fast war ich schon wehmütig, dass schon in wenigen Kilometern alles vorbei sein würde. Auch die Abfahrt vom Poggio wurde infolge der sehr nassen Strassen und der damit verbundenen Sturzgefahr und meinen nicht greifenden Bremsen im Schneckentempo zurückgelegt. Auf den letzten 500 m vor der Zieleinfahrt wurde ich dann noch Opfer meiner Gefühle selbst, legte meinen Arm auf Michels Schulter, gratulierte Ihm zu seiner Leistung und seinem Effort bei km 95, dabei konnte ich es nicht verklemmen, eine Freudenträne, welche im prasselnden Regen unterging, zu vergiessen. So gross war die Erleichterung, es überhaupt geschafft zu haben und dies erst noch innerhalb unserer gesetzten Zielsetzung. Wir erreichten Sanremo nach 295 km und 1800 Höhenmetern in 9 Stunden und 42 Minuten mit einem Gesamtschnitt von 30,4 km/h. Ebenso kühl wie das Wetter war auch der Empfang im Ziel. Keine Musik die da spielt, keine Bandenwerbung, keine Ehrendame, keine Sitzbänke respektive Wurststände wo sich eventuelle Zuschauer hätten verpflegen können, "nur" unsere Begleitwagenfahrerin Barbara wartete im strömenden Regen auf uns. Nur ganz kurz gönnten wir uns eine Portion Pasta im Gebäude, wo die Preisverleihung statt fand. Wir wollten nur noch eins, so schnell wie möglich ins Hotel unter die warme Dusche. Statt die Räder aufs Autodach zu laden, meisterten wir diese letzten 3 km und 70 Höhenmeter bis zum Hotel auch noch per Rad.
Am Abend dann genossen wir in Sanremo am Hafen unser wohlverdientes Abendessen, dabei wurden das Rennen und die neuralgischen Punkte nochmals durchgegangen. Tags darauf auf dem Rückweg hielten wir noch für 4 Stunden Badeaufenthalt in Alassio. Es herrschte Sonne pur und sogar das Meer war recht warm, somit wurden wir wenigstens ein wenig für den Vortag entschädigt.

Meine Gedanken, Erfahrungen und Tipps abschliessend zu diesem Rennen
Ich hätte nie gedacht, dass eine 10-20 sekündige Tempoverlangsamung eine Kräfteraubende Aufholjagd von 15 Minuten mit sich bringt, um wieder zurück ins Feld zu gelangen. Aus dieser Erkenntnis hinaus wäre es wohl besser gewesen, Verpflegung direkt aus dem fahrenden Begleitauto zu beziehen, welches wirklich direkt hinter respektive im Feld fährt. Auch wäre so im Falle eines Defektes die verlorene Zeit wohl am geringsten. Was nützen Ersatzräder und Werkzeug im Auto, wenn dieses kilometerweit vom Fahrer entfernt ist. Auch hier hatten wir einfach nichts anderes als Glück, dass wir nicht auf dieses
Ersatzmaterial zurückgreifen mussten.

Thema Verpflegung
Ich habe mich durch das ganze Rennen hindurch nur mit Sportnahrung des Herstellers Sponser verpflegt. Dabei beachtete ich, dass ich pro Rennstunde mindestens 1 Bidon 750ml Energy Isotonic und 1 Energy Riegel oder 1 Enegry Gel konsumierte. Zu keiner Zeit hatte ich Magenprobleme oder gar das Gefühl, in einen Hungerast zu geraten. Einzige Ausnahme war das Getränk am letzten offiziellen Verpflegungsposten.

Thema Bidonhalter
Ein breites Scotch-Band hätte den Verlust der Bidons 3 & 4 sicherlich verhindert...kleines Band, grosse Wirkung

Fazit
Es war einfach nur geil! Milano-Sanremo, ich komme nächstes Jahr wieder, jedoch mit einem anderen Ziel: Schnitt > 33km/h
Dabei hoffe ich sehr, dass in Punkto Sicherheit resp. Verkehrslenkung auf dem Abschnitt Genua > Sanremo einige Verbesserungen gemacht werden. Es war einfach nur grosses Glück, diesen Streckenabschnitt unfallfrei überstanden zu haben.
Die entstandenen Zeitverluste infolge obiger aufgeführten Gründe und des schlechten Wetters wegen lassen mich doch sehr hoffen, dass ich nächstens Jahr dieses Rennen mit einem Gesamtdurchschnitt von über 33 km/h absolvieren kann.

 

Weitere Details findet Ihr auf der nachfolgenden Seite:

http://www.radgenossen.ch/rennenundrundfahrten/milanosanremo2011/index.html

 

Ein Bericht von Axel Niemann

41 ter Mailand Sanremo

Wir, das sind Dagmar Bergholz, Dirk Müller, Michael Kloke und ich Axel Nieman haben uns beim 5. fach Organisator Günther Kulessa vom RTF Klassiker Mailand - Sanremo angemeldet. Zusammen mit insgesamt 30 Teilnehmern an der organisierten Busreise starteten wir um 6:00 früh aus Frankfurt in Richtung Mailand. Die Busreise dauerte wegen einer Vollsperrung eines Tunnels gut zwei Stunden länger als geplant. Wir ahnten schon was uns in Mailand-Assago erwartete, Regen. Unterkunft, Verpflegung war top. Unser Hotel lag 100 m vom Start entfernt, so dass wir erst gegen 5:00 aufstehen mussten. Frühstück, 10 000 cal so früh in sich zu schaufeln ist schon gewöhnungsbedürftig. 6:30, so langsam treffen alle ca. 900 Teilnehmer dieser RTF am und im Startbereich ein. 6:45, der Wetterbericht hat recht, 15° es fängt wieder an zu Regen. Wir vier versuchen uns im Startblock zu finden und beschließen, die ersten km zusammen zu fahren. 7:00, es schüttet wie aus Eimern. Endlich 10 min nach 7:00 klicken alle gemeinsam in die Pedalen, das Geräusch des Regens lässt die Startansage verstummen. Los, los, los, nur nicht stürzen im Gedrängel. Wo sind die anderen, ich sehe nichts im Regen. Auf den ersten  km kann ich mich gut nach vorne durchsetzen. Es schüttet, die Straßen sind so schlecht, dass ich in der ersten Stunde wohl über 50 Trinkflaschen auf der Straße liegen gesehen habe. Die rechte Seite der Fahrbahn war gesäumt von Fahrern, die ihren Schlauch wechselten. Es bildeten sich auf Grund des hohen Tempos Gruppen, ich befand mich in der zweiten, wir fuhren einen Schnitt von 45 km/h. Nach zwei Stunden Regenfahrt erlebten wir eine Steigerung des Wetters, Gewitter, Blitze und noch mehr Regen. Ich dachte, wenn das so weiter regnet, hätte ich 2 von 4 Getränkeflaschen Zuhause lassen können. Wir nähern uns so langsam Campoligure, die erste Verpflegungsstelle nach 135 km. Leichter Anstieg, wir hatten an dieser Verpflegungspunkt einen 41 Schnitt. Die Gruppe wurde immer kleiner, ich beschloss diese Stelle auszulassen und mit der Gruppe bis Spotorno, dem nächsten Verpflegungspunkt zu fahren.

Nun galt es den Passo del Turchino zu bezwingen. Nach dem Tunnel auf der Passhöhe stürzten wir uns im Sonnenschein bei ca. 27° in die Abfahrt nach Genua. Links das türkisfarbene Meer und rechts die Felswände der ligurischen Küste. Vorbei an Palmen durch malerische Küstenorte näherten wir uns der 200 KM Marke und meinem ersten Verpflegungspunkt. Ich schaute aufs offene Meer und versuchte mich zu entspannen. Es wurde immer wärmer, meine 4 Getränkeflaschen waren leer, ich konnte dadurch keine Gels mehr zu mir zunehmen. Durchhalten, noch 30 km. Dieser Streckenabschnitt hatte nichts von einer RTF. Auf der Küstenstraße und in den Ortschaften war das blanke organisierte Chaos. Wir hielten an keiner roten Ampel, Kreuzungen die mit Autos befahren waren, wurden ohne anzubremsen mit Renntempo durchfahren. Fußgängerüberwege wurden mit Tempo passiert, die Fußgänger blieben wie versteinert auf dem Zebrastreifen stehen. Ich hatte am ganzen Körper Gänsehaut. Die Italiener die diese Gruppe führten fuhren eindeutig mit Heimvorteil. Autos wurden nicht nur auf dem Mittelstreifen sondern auch rechts überholt. Wenn die Straßenbreite ein überholen unmöglich erschien, zeigten uns die Gastgeber wie das in Italien geregelt wird. Mann oder Frau nutzte einfach die Gegenfahrbahn, die Autofahrer waren gezwungen rechts zu halten. Ich musste schmunzeln, in meiner Heimat würde man mich einsperren, wegschließen. So langsam hinterlässt die gefahrene Strecke bei mir seine Spuren. Jetzt fängt so langsam der schwere Teil dieser Strecke an, die Straße führt immer wieder über kleine Anstiege. Ich nehme etwas tritt raus, da kommt ja noch Capo Berta, Cipressa und Poggio.

Endlich, nach 200 km und einem Schnitt von 38 km/h fahre ich in den Ort Spotorno. Der Verpflegungsstand hatte alles was ein Rennfahrer sich wünscht. Die Getränkeflasche sich aufgefüllt, die Trikotasche voll und nach einer kleinen Pause im Schatten freue ich mich auf das letzte Drittel und schwersten  Abschnitt meiner Abenteuerreise.

Entspannt setzte ich meine Fahrt fort. Wir waren zu dritt und fuhren mit einem Tempo von 15 km in Richtung Finaleligure, eine Anhöhe hinauf. Plötzlich verhakt sich mein Vorderrad in einem vor mir fahrenden Fahrrad, Sturz. Wir lagen mitten auf der Straße. Es ist 13:00, 210km und das Aus.

Das Ende vom Abenteuer, Prellungen, mein Rad defekt und bei dem andern Mitstreiter,  Schlüsselbeinbruch.

Ich möchte gerne das was jetzt kam überspringen, denn das war nicht lustig. Nur so viel, ich war gegen 19:00 im Zielbereich.

Wenig  später radelt Dagmar an uns vorbei, Mann sah sie gut aus. Auch Dirk und Michael kamen nach einer Weile an uns vorbei.

Resümee:

Ich werde nicht aufgeben, werde mich noch einmal der Herausforderung stellen.

Gratulation

                    Platz          Zeit            Durchschnitt

Dagmar     274             9:21                   31,55

Dirk            445            10:12                  28;92

Michael     449            10:14                  28,80

 

Milano - San Remo 2011
von Werner Meier

Nach meinem Einstand 2010 war es für mich keine Frage, auch 2011 wieder teilzunehmen.
Was kann dir Besseres passieren, als ein Teil des Teams von Günter Kulessa zu sein ???
Er ist der Macher schlechthin! Alles perfekt!
Was für eine Rolle spielt da schon das Wetter, wenn man in Italien, in DEM Radsportland, an der RTF Milano - San Remo teilnehmen kann.
Geregnet hat es beim Start, geregnet hat es im Ziel, dazwischen gab es auch mal Sonnenschein, der Wind mal von vorne, mal von hinten.
Radsportler sind halt Naturburschen, die einiges aushalten.
Der Teamgeist, die Kameradschaft, der Spaß, die gemeinsamen Abende - all das macht das Team Kulessa aus.
Hiermit möchte ich mich bei allen aus dem Team Kulessa für die schönen Tage bedanken, besonders natürlich bei Günther Kulessa.
Ich hoffe, es bleiben alle gesund und wir treffen uns im nächsten Jahr wieder.

Vielen Dank und liebe Grüße - Werner Meier
 

Mailand-San Remo 2011

Wir sind gerade auf der Rückfahrt, sitzen im Bus und fahren entlang der Ligurischen Küste. Es ist Montag, der 06.06.2011 um 11.00 Uhr. Außentemperatur: 22 °C.

Der Plan

Durch einen Bericht in der TOUR 3/2010 wurde mein Interesse an diesem historischen Rennen geweckt. Offiziell handelt es sich um eine RTF, tatsächlich ist es aber ein Wettrennen mit Transponder. Ich wollte unbedingt einmal diese historische Strecke kennen lernen, die als längste europäische Rennstrecke gilt. Vermutlich werde ich an diesem Rennen nie mehr teilnehmen.

Die Vorbereitung

Auch an meinem GCC-Krampfrennen am letzten Wochenende in Schleiz hatte ich wieder einmal gemerkt, wo meine Grenzen liegen. Damit ich in Mailand nicht wieder von Krämpfen geplagt werde, hatte ich zu Beginn der Woche sofort den Arzt sowie den Apotheker aufgesucht. Mir wurde empfohlen, täglich 300 mg Magnesium zu nehmen und sehr viel mehr zu trinken als in der Vergangenheit. Dieses Vorhaben habe ich eingehalten. Darüber hinaus war Schleiz sicherlich eine gute Vorbereitung. Mein Hauptziel war es, wie immer unverletzt im Ziel anzukommen, möglichst unter 10 Stunden.

Ich hatte ein Doppelzimmer in Mailand unmittelbar am Startplatz gebucht, weil Monika oder Florian mitfahren wollten. Als sich dies letztendlich zerschlug, habe ich Günther Kulessa aus Frankfurt angerufen, der sich sofort bereit erklärte, mich mit zu nehmen, zumal im Bus noch einige Plätze frei waren. Günther hat sich um alle Formalitäten vorbildlich gekümmert. Dies bot mir auch den Vorteil, auf der Rennstrecke nicht allein zu sein, sondern immer in einer Gruppe von ca. 30 Teilnehmern Anschluss zu finden.

Ich bin dann am Samstagmorgen um 02.30 Uhr nach Frankfurt gefahren. Wir haben uns dort auf dem Parkplatz des Hessischen Rundfunks getroffen und sind gegen 06.15 Uhr weiter gefahren. Unterwegs haben wir noch viermal gehalten um andere Teilnehmer aufzunehmen. Die Busfahrt war unterhaltsam, aber trotzdem anstrengend, zumal wir über 2 Stunden im Stau standen. Wir waren erst um 19.30 Uhr in Mailand. Wir haben nur kurz die Startunterlagen abgeholt und uns um 20.00 Uhr zum Abendessen getroffen.

Dort wurde auch die Empfehlung gegeben, nicht nur 2 Trinkflaschen mitzunehmen und die erste Verpflegungsstelle nach 125 km zu ignorieren. Dort würden alle Teilnehmer halten; es würde daher sehr lange dauern, bis man Proviant bekomme. Wir sollten an dieser Verpflegungsstation vorbei fahren und erst die 2. Verpflegungsstation nach 200 km ansteuern. Dies bedeutete, dass wir 2 weitere Flaschen in den Trikottaschen mitnehmen mussten und dazu natürlich jede Menge Gels und Riegel. Ich hatte 60,00 €, 2 Scheckkarten sowie wichtige Telefonnummern und Adressen in einer kleinen Plastiktüte verstaut und diese in der innen liegenden Tasche der Radlerhose untergebracht. Wie sich später rausstellte, war dies ein großer Fehler.

Bei der Pastaparty am Abend haben wir alle Unmengen Nudeln zu uns genommen, um schon jetzt einem Hungerast vorzubeugen.

Frühstück gab es bereits um 05.00 Uhr. Als ich um 05.30 Uhr in den Frühstücksraum kam, waren die meisten bereits fertig. Die Italiener hatten bereits ihre Rennradkleidung angezogen und sprachen laut und aufgeregt über das bevorstehende Rennen. Die ersten standen bereits eine Stunde zu früh am Start.

Nach dem Frühstück galt es, Sonnencreme sowie Gesäßscreme üppig aufzutragen, alle benötigten Utensilien in der Radkleidung zu verstauen, das Rad zu überprüfen, die Koffer zu packen und im Bus zu deponieren.

Da in meinen Startunterlagen der Transponder fehlte, gab es unendliche Diskussionen mit dem Rennkomitee. Keiner sprach dort Deutsch oder Englisch. Ich brauchte sehr viel Geduld, um den Transponder schließlich doch noch zu bekommen.

Das Wetter

Der Wetterbericht sprach von einer 90 %-igen Regenwahrscheinlichkeit am Renntag (Sonntag). Als wir zum Frühstück gingen, regnete es bereits und der Regen verstärkte sich zum Start hin. Die Italiener standen unter den Regenschirmen ihrer Bräute, während wir beschlossen hatten, sogar ohne Regenkleidung zu fahren. Ich hatte nicht einmal eine Regenjacke dabei, weil ich mit solch einem Wetter schlichtweg nicht gerechnet hatte. So waren wir bereits völlig durchnässt, als es um kurz nach 7 endlich losging.

Insgesamt kann man sagen, dass wir auf den ersten 150 km Regen und auf den zweiten 150 km Südwest-Gegenwind hatten.

Beim Start hatten wir 15° und bei der Ankunft am Ligurischen Meer hinter Genua waren es teilweise sogar 32°. Bis auf Schuhe und Socken wurde die Kleidung wieder trocken.

Auf den letzten 2 Stunden fuhren wir im heftigen Gewitter. Während man nach dem Start noch versuchte, jeder Pfütze auszuweichen, fuhren wir auf den letzten 2 Stunden hemmungslos durch jede Pfütze. der Regen war so stark, dass die Gullis und Dachrinnen überfordert waren. An den Hängen floss das müllmitführende Wasser über die Straße. Dies veranlasste alle Teilnehmer, auch die Italiener, die Abfahrten vorsichtig zu nehmen.

Das Wetter hätte schlimmer kaum sein können. Die Sturz-und Unfallgefahr konnte nicht größer sein. Während des Gewitters wurde es dunkel, zumal wir mit Sonnenbrillen fuhren, die von den vorausfahrenden Rädern völlig verspritzt und verschmutzt wurden. Zudem wurde die Sonnencreme vom Regenwasser abgewaschen und floss in die Augen.

Das Rennen

Der Startschuss fiel unmittelbar vor dem NH-Hotel Milanofiori kurz nach 7 Uhr. Dieses Hotel liegt im Industriegebiet. Von den rund 1.000 Teilnehmern standen ca. 600 vor mir am Start und ca. 400 hinter mir. Der Kontakt zu den 30 Teilnehmern des Kulessa-Busses riss schnell ab. Immer wieder sah man jedoch unterwegs diese Teilnehmer, da wir alle das gleiche Trikot trugen. Dies habe ich als ausgesprochen angenehm empfunden.

Offiziell handelte es sich um eine RTF, tatsächlich war es jedoch ein klassisches Rennen mit Transpondern. Aus haftungsrechtlichen Gründen wurden wir darauf hingewiesen, dass die Straßenverkehrsordnung einzuhalten ist. Unabhängig davon, ob es in Italien eine solche Straßenverkehrsordnung  überhaupt gibt, haben wir diese jedenfalls völlig auf den Kopf gestellt. Nicht an einer einzigen roten Ampel wurde angehalten. Wir haben die Autofahrer stets zum Anhalten gezwungen. Ich muss einräumen, dass die Verkehrsteilnehmer sich uns gegenüber ausgesprochen rücksichtsvoll verhalten haben. Wir durften zwar nur alle die rechte Fahrbahn benutzen, häufig wurde jedoch auch die Gegenfahrbahn in Anspruch genommen, so dass das Gegenverkehr gezwungen war, rechts anzuhalten.

Eine besondere kuriose Situation sah ich in Genua. Dort war ein sehr alter Mann mit Stock dabei, den Gehweg zu überqueren; er brauchte nur noch ca. 2 Meter bis zum rettenden Ufer. Plötzlich war dieser Mann wie eine Insel, vor und hinter ihm rasten die Rennradfahrer vorbei. Der Mann wusste nicht mehr, was er machen sollte. Er musste einfach abwarten, bis der Strom an Radfahrern vorbei war.

Ca. 10 km nach dem Start ist ein Fahrer direkt hinter mir schwer gestürzt. Man hörte gleichzeitig einen lauten Aufschrei und dann ein entsetzliches Krachen und den Aufprall des Körpers. Gleichwohl sind alle weitergefahren, um nicht weitere Auffahrunfälle zu provozieren.

Die ersten 125 km waren sehr flach und erlaubten eine hohe Geschwindigkeit. Wegen des starken Regens und der nassen Fahrbahn sind wir jedoch ziemlich zurückhaltend gefahren. Trotzdem haben wir auf den ersten 125 km einen Schnitt von 36 km/h erreicht.

Nach ca. 2 Stunden stellte ich fest, dass meine Wertsachen nicht mehr in der Tasche waren, diese war vollkommen leer. Ich habe dann während der Fahrt meinen Körper abgetastet und musste festellen, dass ich insbesondere die Scheckkarten verloren habe. Ich hätte gerne Monika angerufen, damit die Scheckkarten gesperrt werden. Ich hatte jedoch aus Platzgründen das Handy nicht mitnehmen können und sah mich daher veranlasst, erstmal bis zum Ziel zu fahren und von dort aus alles weitere zu veranlassen. Die Innentasche der Hose befindet sich in der Nähe des rechten Hüftknochens. Ca.2 Stunden später stellte ich erstaunend fest, dass am linken Unterbauch etwas scheuerte. Bei genauem Nachtasten entdeckte ich die verlorenen Utensilien. Diese haben sich selbstständig gemacht und waren im Trikot umher gewandert. Ich war heilfroh, diese Dinge wieder gefunden zu haben, gaben sie mir doch die Freiheit, auch im Falle des Rennabbruchs mit einem Taxi zum Hotel fahren zu können.

Italiener kann man sympathisch finden. Italienische Rennradfahrer muss man nicht sympathisch finden. Diese sind eine Welt für sich. Uns gegenüber waren sie ausgesprochen arrogant und rücksichtslos. Sie haben mir verdeutlicht, dass ein Radrennen nichts anderes ist als Vordrängeln mit dem Rad. So ähnlich wie beim Anstehen am Skilift wird mit dem Vorderrad jede erdenkliche Lücke ausgenutzt, ohne Rücksicht auf Verluste. Eine Verständigung war nicht möglich und auch von ihnen nicht gewollt.

In den ständigen auftretenden Gefahrensituationen waren sie jedoch sehr dienlich. Wenn ein Gegenstand auf der Straße lag, man plötzlich abbremsen musste oder eine andere Gefahrenquelle auftauchte, konnte man sicher sein, dass ein lautes Spektakel aufmerksam machte.

Am Straßenrad wurden den Italienern freundlich Getränke angeboten. Die Stände wurden mit der italienischen Nationalflagge angezeigt und damit deutlich gemacht, dass es Getränke nur für Italiener gab.

Die edelsten Rennmaschinen waren im Einsatz. Die Italiener fuhren überwiegend mit Carbon-Laufrädern. Bekanntlich haben diese einen dreimal so langen Bremsweg, insbesondere bei Regen. Auf der gesamten Strecke haben wir weit über 100 Radfahrer gesehen, die den Schlauch wechseln mussten. Außerdem habe ich noch nie so viele weggeworfene Trinkflaschen auf der Straße gesehen, eine ständige Gefahrenstelle.

Die Straßen selbst waren nicht gut, aber auch nicht erwähnenswert schlecht. Man musste halt ständig aufpassen. Das gesamte Rennen war eine einzige Konzentrationsübung.

Außer den vermissten Wertgegenständen machte mir meine Blase besondere Probleme. Nach ausgiebigem Trinken konnte und wollte ich nicht vom Rad aus – trotz des Regens – mein Geschäft erledigen, sondern habe anhalten müssen. Es hat mich  5 -10 km  enorme Schinderei gekostet, um an das Feld wieder heran zu kommen. Weil ich sah, wie das Peleton enteilte, habe ich die Blase nicht vollständig entleert. Dies hatte zur Folge, dass der Druck fast eine Stunde später wieder enorm einsetzte. Bei der zweiten Pinkel-Pause habe ich mir dann wertvolle Zeit genommen und mich danach im wahrsten Sinne des Wortes enorm erleichtert gefühlt. Ich hatte den höchsten Berg, den Passo del Turchino mit 532 m sehr gut überstanden. Ich fühlte mich richtig gut. Als wir dann nach der Hälfte der Strecke bei Genua ans Ligurische Meer kamen, da schien die Sonne und die Welt war in Ordnung, wenn die vielen Rollerfaher nicht gewesen wären. Nach ca. 200 km habe ich dann – wie empfohlen – die 2. Verpflegungsstelle, für mich die Erste, angefahren, die Trinkflaschen auffüllen lassen und einige Bananen an mich genommen. Ich habe während dieses Rennens bei jeder sich bietender Gelegenheit getrunken und gegessen. Es ergaben sich während des Rennens immer wieder neue Gruppen, die gemeinsam das Tempo hochhielten.

Mein Ziel unter 10 Stunden anzukommen, konnte ich nur erreichen, wenn ich einen Schnitt von 30 km/h halten konnte. Die setzt wegen der vielen Anstiege natürlich voraus, dass man ständig zwischen 35 und 40 km/h fährt. An der Ligurischen Küste wurden wir auch häufig vom Straßenverkehr abgebremst. Einmal war die Straße sogar wegen einer Baustelle für 5 Minuten gesperrt, so dass wieder alle aufschließen konnten. Reichlich Sorgen bereitete mir im Vorfeld der Anstieg zum Cipressa auf 240 m. Der steile Anstieg hatte mir fast alles abverlangt. Bei diesem Anstieg setzte das Gewitter ein. Der Regen war wegen der bis dahin hohen Temperaturen sogar angenehm. Bei der Abfahrt brauchte man in beiden Händen alle Kräfte, um das Rad in den steilen Serpentinen einigermaßen abbremsen zu können. Es hat immer so gerade noch geklappt. Dieser Anstieg war von der Rennleitung vor einigen Jahren eingebaut worden, um einen Massensprint zu vermeiden und das Feld auseinander zu ziehen. Ein weiteres Hindernis gab es ca. 10 km vor dem Ziel. Diesen Anstieg hatte ich nicht mehr in meiner Planung. Ich sah kurz vorher ein Schild: 5,5 km nach San Remo. Plötzlich wurden wir in die Berge umgeleitet und mussten den Poggio hochfahren: einmal Lattenberg und zurück, allerdings deutlich steiler. Bei diesem Anstieg erinnerte ich mich an das legendäre Rennen Race Across America. Dort gibt ca. jeder 2. Fahrer auf. Einige Fahrer sogar kurz vor dem Ziel. Ich habe mir allerdings geschworen, so kurz vor San Remo nicht aufzugeben. Glücklicherweise wurde ich während des gesamten Rennens von Krämpfen verschont.

Wenig romantisch und ohne den entsprechenden Empfang war die Ankunft San Remo an einem öffentlichen Gebäude, wo wir den Transponder abgeben mussten. Schön war jedoch, etliche bekannte Gesichter aus unserer Gruppe dort zu sehen, um die Tachowerte zu vergleichen. Wir waren alle glücklich, es unbeschadet überstanden zu haben. Irgendwie meinte Dagmar: „Hauptsache wir sind heile angekommen“!

Es stellte sich jedoch dann bei der Ankunft im Hotel heraus, dass Uwe bei dem Rennen schwer gestürzt war. Nach der 2. Verpflegungsstation bei ca. 200 km hatte ein anderes Vorderrad sich hinten in sein Hinterrad verharkt, so dass er schwer gestürzt war und die rechte Schulter gebrochen hat. Er wurde sofort ins Krankenhaus gebracht und notärztlich versorgt, so auch von seinem Kollegen Axel.

Am Abend wurde berichtet, dass ein anderer Rennteilnehmer mit dem Kopf durch die Windschutzscheibe eines Pkws geflogen ist.

Als man in das Gebäude kam, um den Transponder abzugeben, genoss man die angenehme Raumtemperatur. Als wir jedoch wieder herauskamen, haben die Zähne geklappert und die Hände vor Kälte gezittert. Wir mussten noch einige Kilometer steil bergauf in die Berge von San Remo fahren, um so zu unserem Hotel zu gelangen. Und als wir mit ca. 8 Teilnehmern an der Rezeption stehend  für eine Wasserlache sorgten, wurden uns schnell die Zimmerschlüssel ausgehändigt und es wurde uns genauso wie in Mailand erlaubt, die Rennräder mit ins Zimmer zu nehmen.

Die Renndaten: 298 km, 1800 hm (mein Tacho zeigte 2071 hm), Durchschnittsgeschwindigkeit 32 km/h, Ankunft nach rund 9 Stunden und 25 Minuten, effektive Fahrzeit laut Tacho: 9 Stunden 12 Minuten. Damit hatte ich mein Ziel in jeder Hinsicht erreicht.

Überrascht war ich, einen einbeinigen Rennradfahrer zu erleben mit hohem Tempo im Hauptfeld. Nur an den Anstiegen fiel er etwas zurück. Ich musste unwillkürlich an unsere Spinningkurse denken, wo wir einige Sekunden das einbeinige Fahren geübt haben und froh waren, dann wieder beide Beine benutzen zu dürfen. Welche Leistung für diesen Mann!

An besonderen Gefahrenpunkten waren Polizisten oder Helfer postiert, die alle anderen Verkehrsteilnehmer stoppen, um unsere Durchfahrt zu gewähren. Ein Mehr an Akzeptanz war nicht vorstellbar.

San Remo

Diese Stadt hat ihren Höhepunkt längst überschritten. Bei den im Zentrum stehenden Gebäuden handelt es sich um alte Pracht, die dringend saniert werden müsste. Lage und Baumbestand sind jedoch einmalig. Unser Hotel lag sehr hoch über der Bucht mit herrlicher Aussicht. Noch während des Abendessens trudelten die letzten Teilnehmer aus unserer Gruppe ein, sie waren ebenfalls völlig entkräftet, aber glücklich, es geschafft zu haben. Diese Teilnehmer haben allein auf der Strecke vermutlich mehr Energie aufgebracht als die Tagessieger, Gratulation!

Am nächsten Morgen bin ich zu Fuß ca. 8 km durch San Remo gelaufen um den Ort anzuschauen und Lesestoff für die Rückfahrt zu besorgen. Dies ist mir am Hauptbahnhof gelungen. Ich würde San Remo gern noch einmal besuchen, nicht aber unbedingt mit dem Rennrad, jedenfalls nicht unter Zeitdruck. Wegen meiner Stadtbesichtigung hatte ich das Frühstück verpasst, im Bus gab es aber von der Hinfahrt noch ausreichend Getränke und Kuchen. Wir haben San Remo um 10.30 Uhr verlassen und sind um 0.30 Uhr in Frankfurt angekommen. Ich war um 4.00 Uhr im Bett.

Resümee

Eine historische Strecke für Radsportler und ein sporthistorisches Ereignis für mich: Froh es versucht und geschafft zu haben. Die Gefahren insbesondere wegen des schlechten Wetters, halte ich jedoch für unvertretbar. Es wäre für die Italiener zu teuer, die gesamte Strecke zu sperren. Aus diesem Grunde wird das Rennen schlichtweg als RTF deklariert und auf die Straßenverkehrsordnung verwiesen. Es ist sehr erstaunlich, dass nicht viel mehr schwere Unfälle passiert sind. Eine größere Gefahr, als mit dem Rennrad und hoher Geschwindigkeit durch Innenstädte zu rasen, sämtliche Ampeln zu überfahren und Vorfahrten zu missachten, ist kaum vorstellbar.

Froh bin ich insbesondere, nicht auf eigene Faust nach Mailand gekommen zu sein, sondern mich der Kulessa-Gruppe angeschlossen zu haben. Ein großes Kompliment an Günther, der es mit sehr viel Übersicht und Geduld versteht, ein solches Vorhaben zu organisieren. Für Staus und Wetterlage ist er leider noch nicht verantwortlich. Glück hatten wir auch mit unserem Busfahrer Andreas, bei dem sich jeder absolut sicher fühlen konnte.

Einmal im Leben sollte man es sich gönnen: Mailand-San Remo!

Sportliche Grüße aus dem Sauerland

Bernhard Kraas

Arnsberg-Oeventrop

 

 

 

 

 

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